Openness-Begriffe
- Open Source
- Open Access
- Open Data
- Open Standards
- Open APIs
Fragen
- Was bringen Open-Source-Entwicklung, offene Standards, APIs?
- Was kostet es mitzumachen?
- Was kostet es, nicht mitzumachen?
- Wie identifiziert man erfolgversprechende Ansätze?
- Wie kann man als kleiner/mittelgroßer Verlag mit begrenzten Ressourcen teilhaben?
Gliederung
- Open-Source-Finanzierung: Warum soll ich zahlen, was andere kostenlos nutzen?
- Beispiele: epubcheck, MathJax, MathML in Chromium
- Übersicht: Openness-Begriffe und ihre rechtlichen Grundlagen/Implikationen
- Offene Standards und APIs im Verlagswesen
- Interessen-Pooling bei Standard- und Software-Entwicklung
- Beispiele: EPUB-Standardisierung, transpect
Beispiel epubcheck
EPUB: Offener Standard
epubcheck: Open-Source-Tool
Beispiel epubcheck
Nutzen
- EPUB-Standard: Verlage müssen (im Prinzip) nur noch ein E-Book-Format unterstützen
- epubcheck: Konformität wird in der gesamten Branche mit diesem Open-Source-Tool geprüft
Kosten
- Standardentwicklung kostet
- Open-Source-Entwicklung kostet noch mehr
Wer sollte die epubcheck-Entwicklung finanzieren?
- Standardisierungsgremium (aus Mitgliedsbeiträgen)?
- Distributoren/Händler?
- Verlage?
- Entwickler von Lesesystemen?
- Konvertierungs-Dienstleister?
⇒ Eigentlich Apple 😉
A propos MathML
- Teil des HTML5-Standards
- Teil der meisten Formelworkflows in Verlagen
- Firefox und Safari unterstützen es ohne MathJax (Javascript), Chrome und Edge nicht
- Javascript-Renderer hat Performance-, Umbruch- und Barrierefreiheitsprobleme
MathML in Chromium
- 2017: Fundraising-Kampagne von Igalia, le-tex und MathML Association
- „Wir sind zufrieden mit MathJax“ — Größter STEM-Verlag in D
- „Nicht in unerem Kerninteresse“ — Größter Schulbuchverlag in D
- Finanzierung letztlich über Kontakt zu Todd Carpenter (NISO) → Sloan Foundation
- 2019: Igalia beginnt mit der Implementierung
Open-Source-Grundproblem
Warum soll ich für die Entwicklung von etwas zahlen, was andere dann frei nutzen können (z.B. epubcheck,
Readium, Readium LCP)?
- Weil ich es mir leisten kann
- vor allem, wenn sich die Last auf viele Schultern verteilt, so dass mein Kostenbeitrag gering ist
- Weil ich andere kostenlose Dinge nutze, für die andere bereits gezahlt haben
- Weil ich Richtung/Prioritäten mitbestimmen kann
- Weil es unabhängig von großen Playern machen kann
- Wenn niemand ins (EPUB-) Ökosystem investiert, zahlen wir alle fürs (Amazon-) Monopol
Wie sähe die Welt ohne EPUB aus?
Kindle einziges relevantes E-Book-Format
Kompatibel ist, was Kindle Create erzeugt
Vertrieb nur über Amazon
⇒ Investition in Open Source und offene Standards, um Monopole zu verhindern
These
Große Player setzen nur dann auf offene Standards, wenn andere große Player marktbeherrschend zu werden drohen.
Beispiele
- Internet Explorer als Antwort auf Netscape
- Apples Hinwendung zu EPUB
Typische Verlage…
- … sind keine großen Player
- … haben kaum Interesse an technologischer Alleinstellung
- … profitieren von Standards
- … entwickeln sie aber selten mit
- … sondern warten ab, was sich durchsetzt
- … haben selten den Anspruch, die Welt zu retten (d.h., begreifen es nicht als ihre Aufgabe, Monopole zu verhindern)
Übersicht: Open-Begriffe und ihre rechtlichen Grundlagen/Implikationen
|
Rechtl. Rahmen |
Prozess |
Resultat-Zugang |
Weiterverwendung |
Patente |
Haftung |
Open Source |
Urheberrecht |
offen* |
offen |
ja |
Verzicht* |
Ausschluss |
Open Access |
Urheberr. (CC-BY*) |
divers |
offen |
lizenzabh. |
n/a |
n/a |
Open Data |
Urheberr. (CC-…*) |
divers |
offen |
ja* |
n/a |
Ausschluss* |
Offene Standards |
Urheberrecht |
halboffen* |
offen |
n/a |
Verzicht* |
n/a |
Offene APIs |
unklar |
divers |
offen |
unklar |
unklar |
divers |
* häufig/typisch |
Open Source impliziert nicht Open APIs (it’s complicated)
Android und Java-APIs, Oracle America, Inc. v. Google, Inc.
- 2012, District Court
- Keine Patentverletzung, APIs nicht urheberrechtlich geschützt
- 2014, Federal Circuit
- APIs doch urheberrechtlich geschützt, zurück an District Court
- 2016, District Court
- APIs urheberrechtlich geschützt, aber Fair Use seitens Google
- 2018, Federal Circuit Court of Appeals
- APIs urheberrechtlich geschützt, kein Fair Use
- Aktuell, Supreme Court
- Sind APIs durch Copyright schützbar?
Lehren aus Oracle v. Google
- Nicht alles, wo open* draufsteht, ist in jedem Sinne open
- Patent Policy ist wichtig sowohl bei Open-Source-Lizenzen als auch bei Standardisierungsprozessen
- In dieser juristischen Liga möchte man als Verlag nicht mitspielen**
* Die Java-Referenz-Implementation,
OpenJDK, ist Open Source und wird von Oracle gepflegt. Android ist ebenfalls Open Source. Androids
Verwendung der Java-APIs verletzt aber angeblich Oracles Copyright, weil Android die Java-Spezifikation
nicht ganz spezifikationsgemäß implementiert.
** Obwohl. Stichwort: Leistungsschutzrecht
Was sind Offene APIs?
- Open API = Public API
- Schnittstelle zu Open Data oder zum Datenaustausch
- Meistens über HTTP(S)
- Manchmal mit Registrierung / API-Key
- Manchmal mit Volumenbegrenzung
- Basis für lose gekoppelte Systeme / Microservices
Beispiele
Wofür sind offene APIs gut?
Beispiel: Integrating the Publishing Environment
- Metadatenaustausch, Druckdatenaustausch, E-Produkt-Austausch, …
- Weniger Handarbeit (Excel-Pflege, Copy&Paste, …)
- Vendor-Lock-In durch Interoperabilität verhindern
- Best-of-Breed-Lösungen ermöglichen
- IPE: Meta-Standard, der existierende Standards und Applikationen mit Hilfe offener Schnittstellen verbindet
- Scheint jedoch etwas an Schwung eingebüßt zu haben
Metastandard ≠ allumfassender Standard
(Randall Munroe, CC-BY-NC)
Offene Standards im Verlagswesen
- ISBN (International ISBN Agency, MVB GmbH)
- ONIX (EDItEUR)
- JATS/BITS/STS (NISO)
- HTML, CSS, WAI, EPUB, … (W3C)
- DOI (ISO, Intl. DOI Foundation)
- Job Definition Format (CIP4)
- …
Offener Standardisierungsprozess
- freiwillig (keiner muss)
- nicht-diskriminierend (jeder darf)
- von interessierten Parteien (nicht nur von einer) organisiert
- Vorteil für alle: Netzwerkeffekte, Kostenersparnis
- Vorteil für Mitwirkende: „Wer schreibt, der bleibt“
- Aber: i.d.R. pay to play (Mitgliedschaft in Gremium)
Bis wieviel € ist ein Standardisierungsprozess offen?
Beitrags-Hürde (EPUB: IDPF 1000 $ / W3C > 5000 €)
Aber: W3C Community/Business Groups offen für alle
Aber: EPUB 4 wird in Publishing WG ($$)
entwickelt,
nicht in EPUB 3 CG
⇒ de facto nicht offen für kleine/mittelgroße Verlage
Erfolgreiche Standards…
- … haben Implementatoren an Bord
- … sind nicht schwammig
- … sind interoperabel
- … reagieren schnell auf neue Anforderungen
- … sind weit verbreitet (Tautologie? Netzwerkeffekt!)
Warum wirken so wenig Verlage bei EPUB-Standardisierung mit?
- zu wenig technisches Personal
- kein Budget
- Abwarten, was sich durchsetzt
- Unterschätzen der Einflussmöglichkeiten
Lösungsansatz: Interessen-Pooling
Idee aus der IG Digital: Der Börsenverein (€€-W3C-Mitglied!) entsendet eine Expertin
Börsenverein-Vorstand findet das gut, möchte aber dafür keine €€€-Mittel bereitstellen
Ausweg: Interessenpooling mit EDRLab
Pooling bei Open-Source-Entwicklung?
z.B. gesparte InDesign-Lizenzen in Scribus-Finanzierung investieren
Kann durchaus bei komplexen Anwendungen funktionieren. Vorbilder:
- im 3D-Bereich: Blender (Blender Foundation)
- im Office-Bereich: LibreOffice (The Document Foundation)
Initiative geht selten von Nutzern aus
InDesign, Quasistandard und proprietäre Software
Probleme/Risiken
- Verlage warten 10 Jahre auf Endnoten, Tabellenfußnoten
- Verlage warten immer noch auf brauchbare XML-Unterstützung
- Verlage/Satzbetriebe müssen plötzlich hohe Abo-Gebühren zahlen (oder auf Features und Bugfixes verzichten)
Pooling bei transpect-Weiterentwicklung
Kritische Masse war durch Eigenbedarfs-Entwicklung gegeben
Open-Sourcing u.a. aus Unlust an Vertrieb und Marketing
- Pooling erfolgreich bei Feature-Entwicklung, z.B.
- MathType→MathML-Konverter (Sponsoren: Hanser, VDE, stmdocs.in)
- gemeinsamer IDML→TEI→EPUB-Basisworkflow für C.H. Beck, Beltz, Campus, Klett-Cotta, Unionsverlag, Suhrkamp,
Hanser
Kaum Bedenken (mehr) bzgl. Freeloading (Schmarotzertum)
transpect
Framework zum Konvertieren und Prüfen XML-basierter Daten (IDML, docx, EPUB, …)
Offene Standards:
- XSLT
- XProc
- Relax NG
- Schematron
- DocBook, JATS/BITS, TEI, HTML, …
Offene HTTP-API gibt es dazu
transpect
- Offene Standards und Open Source für viele Kunden ausschlaggebend
- Erlösmodell
- Customizing
- Support
- Feature-Priorisierung (z.B. Citavi-Referenzen)
- Kompatibilitätstests
Warum finanziert sich transpect besser als epubcheck?
- Autoren, Lektoren und Setzer verwenden Word und InDesign kreativ (ständiger Support-
und Weiterentwicklungsbedarf)
- Customizing nötig für Verlagsworkflows/-schemas
- Produktionssicherheit, Verfügbarkeit wichtig & dafür zahlt man
- Ausnahme: transpect-Anwendung docx2tex eher undankbar
- 4900 Downloads
- nur wenig Umsatz mit Feature-Entwicklung
- aber tw. typisches Open-Source-Anspruchsdenken der Nutzer
- trotzdem gutes Marketingtool & viele Tester
Fazit
- Open Source und zunehmend (wegen digitaler Endprodukte) offene Standards sind wichtig für Verlage
- Mehr Engagement wäre wünschenswert (im Eigeninteresse)
- Allerdings ist es für viele nur gemeinsam zu stemmen
- Crowdfunding unter Verlagen war bisher nur begrenzt erfolgreich
- Mehr (auch kollektive) Urteilsfähigkeit wünschenswert, weniger „abwarten, was sich durchsetzt“
- Mehr Ideologie wünschenswert (offen aus Prinzip, im langfristigen Interesse)